Donnerstag, 27. September 2007

Die Lektion der Verantwortung (Am 8, 4-7)

In der Erziehung der Kinder ist es ein wichtiges Kapitel, sie an die Übernahme von Verantwortung heranzuführen. Erste kleine Aufgaben in der Familie werden von den Eltern an sie abgegeben, und die Kinder lernen, was es heißt, dass sie ihren Beitrag für das Gemeinsame leisten. Sie nehmen bewusst auf, wie gut es tut, wenn andere für sie mit einstehen und was sie alles verlässlich für sie tun. Im Gegenzug erfahren sie, dass auch sie sich einzubringen haben, ein wichtiger Teil der Gemeinschaft sind, und wie es das Miteinander stört, wenn sie ihrer Verantwortung nicht nachkommen oder sich auf Kosten der Anvertrauten bereichern. Zur Lektion der Verantwortung gehört notwendig die der Selbstlosigkeit.
Ohne verlässliche Übernahme von Verantwortung gibt es keine Gemeinschaft, in der Familie nicht, in der Sportmannschaft und im Betrieb nicht, nirgends im Kleinen wie im Großen. Übernommene Verantwortung kann jedoch zur Versuchung werden. Verantwortung heißt: ich bin verlässlich da, trage Fürsorge für etwas, was mich übersteigt und was mir nicht gehört. Es geht nicht darum, meinen persönlichen Nutzen zu fördern. Das anvertraute Gut, die anvertrauten Menschen stehen im Mittelpunkt und das, was ihnen nützt.
Die Suche nach dem eigenen Vorteil ist ein starker Zug in uns. Der natürliche Trieb zur Selbsterhaltung kann zum selbstbereichernden Egoismus mutieren, der jedes Maß des Notwendigen verliert. Macht verführt leicht zu mehr Macht wollen; Haben zu mehr haben wollen. Davon ist niemand freigesprochen. Die Grenze wird überschritten wo man sich an Anvertrautem schadlos hält und sich bereichert.
Der Prophet Amos legt unverhohlen und überdeutlich den Finger in diese Wunde. Und er zeigt auf: es ist nicht nur in seinen Augen ein Skandal, sondern vor allem auch in den Augen Gottes. Wo der Mensch seinen Verantwortungsbruch am liebsten vertuschen und unter den Tisch kehren möchte, deckt Gott auf und wird es nicht vergessen. Jesus sagt: „Wenn ihr um Umgang mit dem ungerechten Reichtum nicht zuverlässig gewesen seid, wer wird euch dann das wahre Gut anvertrauen?“ (Lk 16,11)
Jede/r mag bei sich schauen, wo er/sie übernommene Verantwortung wieder ernster nehmen und neu entdecken muss, dass er/sie da eigentlich einen Dienst zu leisten hat und andere doch auf ihn/sie zählen.

Himmlische Finanzpolitik (Lk 15, 8-10)

Was machen Sie, wenn Ihnen in Ihren vier Wänden eine Euro-Münze abhanden kommt, weil sie Ihnen irgendwo heruntergefallen ist, sie aber nicht ganz genau wissen wo? Werden Sie denken: „Ach irgendwie wird das Geldstück schon wieder auftauchen!“ und warten diesen Augenblick einfach ab, wann immer er auch sein wird? Oder stellen Sie auf der Stelle das ganze Haus auf den Kopf, um die Münze zu finden?
Die meisten werden ersteres tun. Was ist schon ein Euro? So dringlich ist er auch wieder nicht, dass er solche Mühe rechtfertigt und wegen seiner alles absucht. Die Frau im Gleichnis Jesu ist allerdings so verrückt. Wegen einer Drachme sucht sie alles ab. Ja mehr noch: als sie sie findet, veranstaltet sie aus Freude darüber, übertragen gesprochen, einen „Kaffeeklatsch“. Würden Sie, wenn sie das Geldstück, diesen Bagatellbetrag, wiedergefunden haben, solch einen Zinnober veranstalten? Was so reichlich überzogen klingt, hat eine besondere Aussage, ist ein Vergleich: So verrückt ist der Himmel, wenn sich ein Sünder bekehrt, sagt Jesus (V. 10)
Jeder einzelne Mensch, egal wie viel Milliarden es auch sind, ist Gott unendlich wichtig. Niemandes Weg ist IHM egal. ER bangt darum, dass jeder einzelne seinen Weg der Nachfolge findet und ihn geht. Jeder, der diesen verlässt, sich also von Gott abwendet, stimmt den Himmel unendlich traurig. Umkehr hingegen, lässt die Engel ein Fest feiern.
Dieses Gleichnis Jesu, wie auch die anderen drum herum von dem einen Schaf aus hundert, das sich verirrt und für das der Hirte alle anderen zurücklässt, um das eine wiederzufinden (Lk 15, 1-7), wie auch das berühmte Gleichnis vom Barmherzigen Vater (Lk 15,11-32) räumen mit einer immer wieder aufkeimenden Meinung auf: nämlich Gott betrachte den Weg SEINER Schöpfung aus der Distanz, hätte sich im Grunde innerlich abgewandt und kümmere sich nicht. Jesus selbst sagt es uns jedoch überdeutlich: Gott bangt um uns, was wir in unserer Wahlfreiheit tun und lassen; die Abkehr des Menschen von IHM lässt IHN trauern; ER hält den Weg zu IHM zurück immer offen. Und wer diesen Weg geht, wird von IHM vorbehaltlos und mit offenen Armen freudig aufgenommen.
Doch gehen müssen wir diesen Weg schon selbst.

Montag, 10. September 2007

Trilogie „Heimat“, Teil 3: Heimatlosigkeit Jesu – Unsere Heimat im Himmel

Die nie erlischende Sehnsucht und die ständige Suche nach dem Ort, an dem Milch und Honig fließen, seine immer wieder kehrende Gefährdung und der ständige Verlust des Paradieses: eine „Never-ending-story“? Gibt es Heimat überhaupt? Ist der Ort überhaupt zu finden? Und wenn ja wie ist er zu bewahren? Oder greifen wir völlig zu kurz, wenn wir Heimat suchen?
In Jesus Christus, den wir als Gottes Sohn bekennen, bekommen wir entscheidende Wegweisung für unsere Suche. In ihm wird Gott ganz Mensch wie wir, kommt ganz ins Hier und Jetzt. Und doch hat ER keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann (Mt 8,19f). ER ist, nach eigenen Worten, nicht gekommen, um die Weisungen und Verheißungen der Vergangenheit aufzuheben, sondern um zu erfüllen (Mt 5,17). Die Vergangenheit ist nicht ausgeklammert. Nur wer sie einbezieht, wird Jesus und seine Botschaft begreifen.
Die Botschaft ist der Anbruch des Gottesreiches, das große Heimholen der Schöpfung, das Gott schenkt und bewerkstelligt und das nicht im Irdischen zu fassen ist (vgl. z.B. Hebr 11,12-16). Und es steht in Vollendung noch aus, ist auf Zukunft hin ausgerichtet.
Heimat, so behauptete ich anfangs, ist ein Roter Faden der hl. Schrift. Die Fragen des Woher des Menschen, seines Daseins im Hier und Jetzt und sein Wohin sind im letzten Heimatfragen. Heimat im biblischen Sinn ist da, wo die Antworten auf alle drei Fragen ein und denselben Ort umschreiben: Eine Antwort auf alle drei Fragen zugleich: Des Woher, des Hier und Jetzt und des Wohin. Das alles zusammen erst ist der Ort, wo der Mensch sich selbst findet und seinem Schöpfer am nächsten ist. Solange er sein Augenmerk nur auf ein Teil dieser Richtungen beschränkt, also eingeschränkt sucht, bleibt er Nomade: Er sucht dann entweder die verlorene Vergangenheit und wird depressiv; oder kämpft sich zu Tode in den Unsicherheiten des Hier und Jetzt und wird aggressiv oder rennt einem Traumgespinst hinterher, das er nie erreichen wird und resigniert.
Und Heimat im biblischen Sinn hat Ort und Zeit und Beziehung und geht im letzten doch nicht darin auf, übersteigt sie. Die Antwort auf die Frage nach Heimat beantwortet dem Menschen die Frage, woher er kommt, wer er jetzt ist und was sein Ziel ist. Heimat als Beziehung über Raum und Zeit hinweg. Diese Antwort bekommt er nach der Bibel nicht ohne Gott. ER selbst ist die Antwort.
Ein schwieriges Paradox: Was dem Menschen in seiner Geschichte immer wieder zum Verhängnis geworden ist, nämlich dass er sich selbst als Geschöpf übersteigen kann auf Gott hin, braucht er zugleich notwendigerweise, um seine wirkliche Heimat zu finden. Anstatt sich von IHM abzugrenzen oder IHM gleichen zu wollen, sollte er sich an IHN binden und sich in SEINE Hände fallen lassen.

Trilogie „Heimat“, Teil 2: Babylonisches Exil und die Sehnsucht nach Zuhause

Das Volk gelangt nach großen Mühen und schweren Prüfungen mit der Hilfe und durch die Führung Gottes in das „Gelobte Land“ und nimmt es in Besitz. Gott selbst gibt ihm dort Hilfen an die Hand, um die neugewonnene Freiheit nicht wieder zu verspielen. 10 Gebote regeln das Miteinander, schützen Persönlichkeitsrechte und den Erhalt der Gemeinschaft. Und sie ermahnen den Menschen, Gott Gott sein zu lassen und sich immer wieder zu erinnern, wie Gott ihnen dieses neue Leben ermöglicht hat (vgl. Ex 20,1-17).
Wird der Mensch aus Schaden und der Erfahrung der Rettung klug? Macht man den gleichen Fehler wirklich zweimal oder gar noch öfter? Man macht! Der Mensch schafft das. Und nicht nur zweimal oder dreimal, unendliche Mal. Ist das Urproblem des Menschen und seines ungelösten Heimatproblems, dass er seiner selbst sich nicht sicher ist?
Die Katastrophe des totalen Heimatverlustes trifft das Volk erneut im sog. "Babylonischen Exil" 586 vor Christus in traumatisierenden Ausmaßen. Der Tempel, die zu Stein gewordene Identität des Volkes, die die Gegenwart Gottes selbst darstellt - zerstört, Stadtmauern geschliffen, Häuser geplündert, Menschen in die Fremde verschleppt und getötet (vgl. z.B. 2 Chr 36,11-21). Der Name Babylon wird nach Ägypten zum neuen Synonym für Schutzlosigkeit, Unsicherheit, Sklaverei und Gottesferne. Psalmen besingen zutiefst anrührend die Not und die Scham des Volkes, rufen in der Not der Dunkelheit nach Rettung und Wegweisung. Propheten treten auf, die dem Volk die Augen öffnen sollen für die Ursache dieser Katastrophe. Und dafür, dass nicht nur der Mensch den gleichen Fehler immer wieder macht, sondern zugleich Gott SEINEN Willen nach Rückkehr des Menschen in das Land, in dem Milch und Honig fließen, nicht aufgibt und neue Pläne der Rückkehr schmiedet (vgl. z.B. Tob 14,5). Glück im Umglück: Die Hartnäckigkeit des Menschen trifft auf die unbeugsame Treue Gottes.

Trilogie „Heimat“, Teil 1: Vertreibung aus dem Paradies – Heimkehr ins Gelobte Land

Heimat, so wage ich zu behaupten, ist ein Roter Faden der hl. Schrift. Denn die Fragen des Woher des Menschen, seines Daseins im Hier und Jetzt und sein Wohin sind die im letzten Heimatfragen. Heimat im biblischen Sinn ist da, wo die Antworten auf alle drei Fragen ein und denselben Ort umschreiben.
Der Anfang ist die Erzählung, wie Gott die Erde erschafft, den Garten Eden, das Paradies, inmitten pflanzt und dort SEINE Kreatur Mensch hineinsetzt. Ihr gibt ER einen ebenbürtigen Gefährten an die Seite. Und SEIN Wunsch ist das ewige Bestehen dieses Zustandes (vgl. Gen 1+2). Heimat im biblischen Sinn hat also irgendwie Ort, Zeit und Beziehung und hat es doch irgendwie auch nicht. Aus dieser Urheimat wird der Mensch von Gott, so die Erzählung, vertrieben (vgl. Gen 3,9ff). Die Folge sind Schutzlosigkeit, Nichtsesshaftigkeit, die Ungewissheit der Versorgung und die Mühsal des Alltags. Der Mensch wird Nomade, lebt mal hier und mal dort. Die Frage, wo genügend Nahrung zu finden ist, und wo niemand anderes ihm seinen Platz streitig macht, bestimmt von nun an seinen Lebensort. Der Mensch wird zu einem Wesen ohne Sicherheit. Der Schöpfungsbericht findet den Grund dafür in der Versuchung des Menschen, gottgleich sich zu gebären, sich nicht beschränken zu wollen auf das, was er ist. Seine Fähigkeit, sich selbst zu übersteigen, wird ihm zum Verhängnis. Indem er sich innerlich von seinem Schöpfer distanziert, entfremdet er sich von sich selbst.
So landet der Mensch immer wieder in der Fremde, die ihm zum Sklavenhaus wird. Die Frage nach dem Ort, wo genügend Nahrung ist, wird ihm den Weg zur Heimat nicht weisen. Sie führt ihn in lebensbedrohliche Konkurrenz mit allen anderen Nomaden, denn alle Menschen teilen im letzten dieses Schicksal, ganz unabhängig davon ob ihre Behausung ein Zelt, eine Hütte oder ein Steinhaus ist. So oder so ist es ein Sklavenhaus.
Gott sieht SEINE Kreatur in dieser Bedrängnis. Der Nomade in der Ausweglosigkeit seiner Not lässt ihn nicht kalt. In IHM keimt der Wunsch, den Menschen aus dem Zwang der nie endenden Nahrungssuche zu befreien, aus der für ihn nur Schutzlosigkeit, Unsicherheit und Konkurrenz erwachsen. Ein neues Paradies öffnet ER ihnen: das Land, in dem Milch und Honig fließen (vgl. Ex 31,1-14). Das Ende von Schutzlosigkeit, Unsicherheit und Konkurrenz. Und Gott selbst nimmt es in die Hand, dass das Volk dieses Land findet, dass es ankommt. Diese Initiative Gottes schweißt aus Nomadenstämmen ein Volk zusammen.

Donnerstag, 6. September 2007

Gelassen loslassen (Lk 14, 25-33)

Kann man sich mit einem Verlust aussöhnen? In „Verlust“ steckt „verlieren“; in „verlieren“ hören wir „Niederlage“, in „Niederlage“ steckt „darniederliegen“. Herbe Verluste bringen uns an den Rand der Existenz.
Verluste sind vielfältig. Da verliert jemand im Tod seinen geliebten Partner oder das Kind und damit den zentralen Bezugspunkt des Lebens. Da verliert jemand seine Firma, und damit sein Auskommen sowie alles, was er sich in den Jahren erarbeitet hat, weil die Zahlungsmoral der Kunden katastrophal ist. Da verliert jemand die Gesundheit, weil ein anderer fahrlässig gehandelt hat. Da verliert ein anderer seinen guten Ruf, weil es Neider gibt, die Lügen über ihn verbreiten. Kann man sich mit solchen Verlusten aussöhnen? Kann man zu dem Punkt kommen, an dem man sagt: Ich nehme mein Schicksal an, höre auf mit Trauer und Klage, klettere aus dem tiefen Loch, in das ich gestoßen wurde und wage einen komplett neuen Anfang? Jeder spürt, was für ein gewaltiger, nicht selten überfordernder Schritt da anstünde. Und gerade die Verluste, die einen unverschuldet treffen, die einem widerfahren, sind die härtesten. Echte Verluste sind traumatisch.
Jedes menschliche Leben kennt solche Verluste und Niederlagen. Niemand ist davon ausgenommen, irgendwann auf diese Frage zu stoßen, wie man mit ihnen umgehen kann, wie man wieder aufsteht, wenn man so darniederliegt, wie man loslässt, ohne den Halt zu verlieren.
Loslassen ist nicht unbedingt eine allgemein menschliche Stärke. Nicht wenige tun sich ja schon unendlich schwer, den Keller zu entmüllen, weil sie glauben, was sie da bunkern, irgendwann noch einmal unbedingt brauchen zu können. Und wer sich hier schon überfordert sieht, was macht der nur, wenn ihn ein Verlust richtig überfällt?
Loslassen müssen gehört zu unserem Alltag. Nichts Irdisches ist auf Dauer, alles ist vorläufig, begeleitet unser Leben nur eine Zeitspanne lang. Ja, für unser Leben selbst trifft es genauso zu. Hinfälligkeit und Vergänglichkeit sind nicht außerordentliche Betriebsunfälle des Lebens, sondern die Regel. Dem Loslassen, dem Verlust, der Niederlage muss man sich stellen, sonst überrennen sie einen. Loslassen gehört zu unseren lebenswichtigen Lektionen. Loslassen sollten wir bewusst üben. Hier ist die Tür zum Verständnis, warum Jesus uns im Evangelium uns auffordert, in seiner Nachfolge auf unseren ganzen Besitz zu verzichten (V. 33), d.h. nichts und niemanden als Besitz zu betrachten und zu behandeln. Aussöhnung mit Verlust gelingt dort, wo er nicht als Niederlage missdeutet wird. Nur wer loslässt, wird offen für Neues. Nur wer offen ist, wird ein Geschenk wahrnehmen. Nur wem das gelingt, der hat nichts zu verlieren und wird aus der Hand Gottes alles gewinnen.