Mittwoch, 18. Juli 2007

Die Kunst des rechten Augenblicks (Mt 11, 20-24)

Wissen Sie, was „Kairologie“ ist? Es ist nicht die Lehre über alles, was die ägyptische Hauptstadt betrifft. Es ist die Lehre vom rechten Zeitpunkt. Die griechische Sprache kennt zwei Wörter, die wir mit „Zeit“ übersetzen können: „chronos“ – das ist die fließende und vergehende Zeit, und dann eben „kairos“ – das meint den richtigen Zeitpunkt, den rechten Augenblick. Wir Christen sollten weniger „Chronologen“ sein, denn um die verfließende Zeit brauchen wir uns nicht mehr allzu sehr sorgen. Sie ist - in ihrer Endlichkeit - in Jesu Tod und Auferstehung in die Weite der göttlichen Ewigkeit aufgegangen. Wir Christen sollten vielmehr verstärkt „Kairologen“ sein. Wir sollten leben mit wacher Aufmerksamkeit und geöffnetem Herzen für den Anruf Gottes; ausgestattet mit einem Gespür für das, was im Augenblick zu tun ist; gestärkt mit der inneren Kraft zur Veränderung, wenn neue Erkenntnisse sich auftun, damit sie nicht wirkungslos verpuffen.
„Kairologie“ beruht auf der Gewissheit, dass Gott ständig und auf vielfältigste Weise mit uns kommuniziert, uns herausfordert, uns Weisung gibt. "Kairologen" wissen, dass ER Hinweise gibt, worauf es jetzt ankommt, dass ER neue Wege weist, dass ER zur Umkehr ruft. ER spricht zu uns direkt in unser Herz oder indirekt über Ereignisse und wie sie zu deuten sind. Die immer wieder im Gebet erflehte und in Diskussionen eingeforderte Offenheit für die sog. „Zeichen der Zeit“ hat hier ihre geistige Grundlage.
Auf dem Auge sind wir Menschen manchmal blind. Oder wir sind zu träge, sehen zwar, was geschieht und könnten sagen, was sich ändern müsste, aber finden nicht die Kraft dazu. Jeder nicht genügend beachtete und genutzte Kairos ist eine verpasste Chance, dem Leben in Fülle schon hier und jetzt einen Schritt näher zu kommen.
Die Einwohner der Städte Chórazin und Betsaída, aber auch von Kafarnaum bekommen von Jesus diese verpassten Chancen mit harschen Worten vor Augen geführt. Jedes von den vielen Wundern, die Jesus in ihrer Mitte gewirkt hat, hätte ihnen deutlich machen müssen, dass Gott in ihrer Mitte ist und sie mit SEINER Vollmacht zur Umkehr bewegen will, zu einem neuen Anfang mit IHM. Doch die Einwohner der drei Städte haben sich von all dem nicht bewegen lassen. Entweder sie waren blind oder zu träge. In den Augen Jesu ist das nicht nachvollziehbar.
Beginnen wir neu damit, „Kairologie“ zu studieren. Die Gottesgabe des Hl. Geistes aus Taufe und Firmung wie das Gottesgeschenk unserer Sinne sind dazu die Zugangsberechtigung. Lassen wir uns von Jesus neu in der Kunst der Wahrnehmung des Augenblicks schulen. „Wahrnehmen“ heißt nicht nur bemerken, sondern das Bemerkte auch wahr sein zu lassen, es als Wahrheit meines Lebens zuzulassen. Dann ist der Weg frei für wirklich wesentliche Veränderungen, die aus den Sackgassen des Alltags führen.